„Der Mitleidseffekt“ – oder „Die perfekte Entschuldigung“

Eine Posse in drei Teilen

1. Akt
Ankommen

Szenerie: Großer Besprechungsraum, langer Tisch mit 30 Sesseln, etwas mehr als die Hälfte der Tischfläche sind mit Plänen belegt, vor etlichen Plätzen liegen unterschiedlich dicke Unterlagenstapel, im Hintergrund offene Tür, links davon in der Ecke steht auf einem schmalen, länglichen Kästchen eine Kaffeemaschine, Getränkeflaschen und frische Gläser.

18 Personen stehen in kleinen Grüppchen herum und führen mit Gläsern in der Hand Smalltalk.

Eine Person, an einem Tischende stehend, erhebt die Stimme: „Meine Dame und meine Herren, bitte beginnen wir mit der Projektbesprechung“

In unterschiedlichen Geschwindigkeiten nehmen die Anwesenden ihre Sitzplätze ein, die Gespräche verstummen nach und nach.

„Unser Herr Planer ist noch nicht da, weiß jemand, wo er ist?“ Ein ruhiger Mann mittleren Alters halblaut murmelnd: „Der woa no nie pünktlich“

Die Besprechung nimmt ihren Lauf. Immer wieder wären Fragen an den Herrn Planer zu richten. Da sie unbeantwortet bleiben, werden sie als offene Fragen schriftlich festgehalten

2. Akt
Ankommen

Die Besprechung wird lauter und lauter. Es wird in kleineren Grüppchen geschwätzt. Zu den offenen Fragen werden zunehmend Mutmaßungen angestellt.

Es klopft – taktvoll, dennoch bestimmt – die Tür geht auf und Mister Expert betritt den Besprechungsraum. Der Leiter der Projektbesprechung: „Grüß Gott Mister Expert. Wie angekündigt, Sie kommen genau richtig. Bitte nehmen Sie Platz.“ Mister Expert setzt sich, der Leiter fasst kurz den bisherigen Verlauf zusammen und stellt eine der offenen Fragen. Mister Expert entschuldigt sich kurz bei den Anwesenden mit Hinweis darauf, dass auf der Hauptachse der Eisenbahn durch den Bahnhofsneubau immer wieder Verzögerungen entstehen. Während er rasch die gestellte Frage beantwortet, bemerken die Anwesenden halblaut, dass es auf der Autobahn keine Störungen gebe und man ohnehin mit dem Auto schneller da sei. Die kurze Ausführungen schließt Mister Expert mit dem Hinweis auf einen durch den Herrn Planer zu klärenden Punkt. Es entspinnt sich eine kleine aber heiße Diskussion. Der Leiter der Besprechung fasst gerade die unterschiedlichen Aspekte zusammen da öffnet sich plötzlich die Tür.

Der Herr Planer erscheint geräuschvoll und entschuldigt sich ausführlich und mit dem größten Bedauern, er sei schon wieder im Stau auf der Stadteinfahrt gesteckt; schon das dritte Mal in dieser Woche. Schuld sei diese Baustelle am Verteilerkreis. Es tue ihm leid, er habe aber keine Alternative zu dieser Einfahrtsroute.
Während die Anwesenden dies mit ihren eigenen Erlebnissen kommentieren und dabei den Herrn Planer bedauernd ansehen, wirft dieser einen Stapel Pläne auf den Tisch und beginnt ohne Umschweife, die seit der letzten Besprechung eingearbeiteten Änderungen auszuführen. Die Anwesenden erheben sich und sehen im Kreis stehend die neuen Pläne an.

Der Leiter unterbricht zunächst sanft und stellt eine der offenen Fragen. Der Herr Planer übergeht dies charmant und fährt ungebremst mit den Ausführungen fort. Es ergeben sich neuerlich die schon gesammelten offenen Fragen, die nur teilweise durch den Herrn Planer beantwortbar sind. Er müsse dazu noch weitere, detaillierte Darstellungen erarbeiten.

3. Akt
Ankommen

Gegen Ende der Besprechung fasst der Leiter die Ergebnisse und die Arbeitspakete zusammen. Es werden die Verantwortlichen benannt und der nächste Termin wird fixiert, die Besprechung geschlossen. Der Leiter packt seine Unterlagen zusammen und bittet Mister Expert noch kurz über ein Alternativszenario nachzudenken. Nach kurzem Smalltalk verlassen die meisten Anwesenden den Besprechungsraum.

Der Herr Planer holt sich einen frischen Kaffee, lässt sich entspannt auf einen Sessel sinken und diskutiert mit drei Personen weiter seine Pläne und trägt Änderungen ein.

„Ich bin im Stau gesteckt“

Die perfekte Entschuldigung! Und was passiert, wenn man erklärt, die Straßenbahn sei nicht gekommen?

 
Kommentare

… um dann zu spät bei der nächsten Besprechung zu „erscheinen“.

Wer angesichts dieses Verhaltens auch in Zukunft Aufträge erhält leistet gewiss gute Arbeit. Außerdem optimiert der Planer seine Effizienz …

Wahrlich auf der Strecke bleibt ein besseres Gesamtergebnis des Projekts, sofern die offenen Fragen nicht Punkt für Punkt abgearbeitet und dokumentiert werden oder auf die Agenda der nächsten Besprechung gelangen.

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